Der NRW-Wirtschaftsblog
Klartext
im Westen

Europa muss die Akzeptanz für die Energiewende zurückgewinnen

Von Dr.  Leonhard Birnbaum

CEO E.ON SE

Leonhard Birnbaum, CEO E.ON SE, fordert im NRW-Wirtschaftsblog mehr Akzeptanz bei der Transformation durch weniger Regulierung.

Europas erklärtes Ziel ist die Dekarbonisierung – doch die Akzeptanz für die Transformation bröckelt, und die politische Landschaft wandelt sich. Immer häufiger kommt Kritik auf, wie wir die Energiewende in Europa und vor allem Deutschland vorantreiben. Und wenige Monate vor der Europawahl sind sogar zunehmend Stimmen hörbar, die eine Abkehr von der Energiewende fordern. Das alles kann man nicht einfach ignorieren, sondern muss sich damit auseinandersetzen. Es kommt jetzt entscheidend darauf an, Akzeptanz für die Energiewende zurückzugewinnen. Hierzu müssen Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit des Energiesystems neben dem Thema Nachhaltigkeit in den Fokus rücken. Der europäische Gesetzgeber sollte sich hierbei auf wenige Ziele konzentrieren und den Unternehmen ausreichend Freiraum für die Umsetzung geben. 

Lag in der Vergangenheit ein besonderes Augenmerk auf der Stromerzeugung, so wächst mit dem Fortschreiten der Transformation der Bedarf an zusätzlicher Infrastruktur. Aus Sicht von E.ON bedeutet das: 2023, also 15 Jahre nach der ersten Erneuerbaren Anlage, haben wir die millionste Stromproduktionsanlage aus Erneuerbaren Quellen an unser Netz angeschlossen. Bis 2030 wird E.ON noch einmal drei Millionen Anlagen zusätzlich anschließen. Hier kann die Digitalisierung helfen, Prozesse zu beschleunigen und mehr Arbeit in weniger Zeit zu bewältigen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir mehr Kupferleitungen verlegen müssen. Das heißt, wir brauchen trotz Fachkräftemangel mehr Mitarbeiter, die „im Feld“ arbeiten. Allein im Jahr 2023 hat E.ON rund 3.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, und wir werden auch in den kommenden Jahren weiter einstellen. 

Bürokratie steht Unternehmen vielfach im Weg

Erkennbar wird dieses Potenzial an den Investitionen, die wir mit E.ON tätigen. 2021, zu Beginn meiner Amtszeit als Vorstandsvorsitzender, lagen unsere Investitionen bei 22 Milliarden Euro. Knapp drei Jahre später hat sich dies fast verdoppelt, wir planen aktuell mit 42 Milliarden Euro bis 2028. Internationales Kapital in solchen Größenordnungen zu mobilisieren und effizient für den Ausbau der Energieinfrastruktur zu nutzen, ist entscheidend für das Vorankommen der Transformation und hilft Europa, deren Kosten zu schultern. Ein  Selbstläufer aber ist das nicht.

Gerade die Bürokratie steht den Unternehmen vielfach im Weg: Sie ist unübersichtlich, überkomplex und hat sich zu einem der Haupthindernisse für die Energiewende entwickelt. Denn während Unternehmen wie E.ON ihre gesamten Prozesse radikal effizienter machen müssen, um die enormen Herausforderungen zu bewältigen, macht der Gesetzgeber oft genau das Gegenteil: Bürokratie wird ausgeweitet, und es entsteht mehr Ineffizienz statt mehr Klarheit. 

"Brauchen maximalen Pragmatismus"

Dabei ist es ganz einfach: Wir brauchen maximalen Pragmatismus, der von wenigen Prinzipien geprägt ist. Und das gilt eben nicht nur auf nationaler, sondern ganz besonders auch auf europäischer Ebene:

  • Geschwindigkeit zählt: „80:20 und schnell“ ist mehr wert als „perfekt und nie“. Beispiel: Wir haben in Europa lange über die Definition von grünem Wasserstoff gerungen, bis wir eine perfekte Definition hatten. Jetzt wissen wir, was wir im Idealzustand gerne hätten. Ich sehe aber keine liquiden Märkte weit und breit. Vielleicht hätten wir besser erst einmal Fahrt aufgenommen und den Markt später perfekt gemacht. 
  • Umsetzbarkeit zählt. Ein negatives Beispiel aus Deutschland: Die Versteuerung der Strom- und Gaspreisbremse in Deutschland hat den Energieversorgern massiven Mehraufwand eingebracht. Die höheren Steuern hat der Staat in IT-Projekte bei den Finanzämtern gesteckt. Dabei hat niemand etwas gewonnen, vielleicht mit Ausnahme der Dienstleister, die diese unproduktiven Systeme aufgebaut haben. Stattdessen hätte man in Deutschland die Digitalisierung vorantreiben können. Wir sollten offensichtlich nicht mit jedem Gesetz mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen. 
  • Einfachheit hat einen Wert an sich. Legislative und Exekutive sollten zu abstrakten Rechtsnormen zurückkehren und auf detaillierte spezifische Regelungen verzichten. Der Anspruch, Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen und die grundsätzliche Missbrauchsvermutung machen viele Gesetze und Verordnungen schlichtweg nicht mehr handhabbar. Es ließen sich einige Regelungen der vergangenen Jahre als negative Beispiele aufführen, das jüngste wird gerade zu Recht kritisiert, denn wir  diskutieren dieser Tage eine Ausweitung der Sozialleistungen, die so komplex ist, dass es ohne ein paar Tausend zusätzliche Stellen angeblich nicht geht. 
  • Technologieoffenheit, indirekte Steuerung durch kluge Ordnungspolitik und Markt sind wirksamer als eine planwirtschaftliche Gesetzgebung. 
  • Weniger ist mehr. Wir sollten stärker priorisieren, wozu wir wirklich neue Regelungen brauchen. Wenn alles wichtig ist, dann ist in Wahrheit nichts wichtig. Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Beispiel gefällig? Die neuen Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und zu Lieferketten zwingen Unternehmen zum Aufbau massiver Bürokratien, um Daten zu sammeln und zu berichten, die im Tagesgeschäft keinen interessieren. 

Das nächste Europaparlament tut gut daran, diese Prinzipien in seiner Arbeit zu berücksichtigen, und auch die Bundesregierung sollte dies bei der nationalen Umsetzung von Richtlinien und Verordnungen bedenken. 

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Dr. Leonhard Birnbaum

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